2008 eröffnete auf dem Industrie-Areal um den historischen Gasometer in Berlin-Schöneberg der Euref-Campus mit der Mission, zu einem Zentrum für Nachhaltigkeit und Innovation zu werden. Mit ihm entstanden über die Zeit fünf gastronomische Konzepte plus ein florierendes Veranstaltungsgeschäft, und es wird weiter gebaut. Ein Vor-Ort-Besuch.
Eine typische Vor-Veranstaltungs-Stimmung: Die letzten Tische werden hergerichtet, Servicekräfte eilen umher, Licht und Sound werden gecheckt, an Einlass und Garderobe macht man sich bereit für die in Kürze eintreffenden 250 Gäste. „Kammeier‘s Eleven“ lautet das Motto des Abends: Sechs Köche werden an diesem Abend ihre Kreationen mit irischem Rind, Lachs, Lamm und Ente servieren, dazu schenken Winzer aus Rheinhessen ihre Weine aus. Gastgeber ist Thomas Kammeier. Er ist der gastronomische Leiter des „Euref-Campus“ und nimmt sich, obwohl es hier gleich hoch hergehen wird, die Zeit, sich zum Gespräch mit uns ins beheizte Zelt der „Werkstatt“ zu setzen. Diese ist nur eine der insgesamt fünf gastronomischen Einheiten auf dem Gelände, die Kammeier seit Mitte 2015 leitet – 3.500 Menschen arbeiten hier, insgesamt, knapp ein Drittel davon sind an einem normalen Arbeitstag Kostnehmer. „Aufgeteilt auf fünf Betriebe sind es somit im Schnitt 200 Couverts pro Restaurant, sehr komprimiert zwischen 12 und 14 Uhr“, erklärt Kammeier.
Lunch-Favorit: vegetarisch-vegane Bowls
Vom Fine Dining am Abend wechselte Kammeier ins Lunch-Business für Büro-Angestellte, denn zuvor war er rund 18 Jahre der Kopf des „Hugos“ im Hotel Intercontinental, für das er 1999 einen Michelin-Stern erkochte. „Es ist im Grunde genommen was komplett anderes. Als ich mit der Sternegastronomie aufgehört habe, war es auch meine Intention, mir eine ganz neue Aufgabe zu suchen. Und das funktioniert, muss ich sagen, ganz gut.“ Herzstück der seiner Leitung unterstehenden Gastronomien ist eine große Küche, in der vorbereitend gearbeitet und zentral gekühlt wird. Das Finishing der Produkte erfolgt in den einzelnen Units. Diese sind neben der „Werkstatt“ (Streetfood, Burger, Poké Bowls) das „Café im Wasserturm“ (gutbürgerlich, deutsch-österreichisch) mit Drei-Zimmer-Minihotel, die „Schmiede“ (italienische Fleisch- und Fischgerichte, Pizza und Pasta), das „Bamboo bay“ (Sushi, asiatische Spezialitäten) und das im Oktober 2018 eröffnete „Grüns“. „Hier setzen wir auf Selbstbedienung mit Buffet-Line“, erklärt Kammeier. Die Gäste stellen sich ihre Bowls individuell selbst zusammen. Fleisch bietet man hier nicht an, auch keinen Fisch; Milchprodukte können sich die Gäste – wie alle Zutaten – optional dazunehmen. So werden sowohl vegetarische als auch vegane Ernährungsweisen abgedeckt – und ebenso flexitarische. Mit Erfolg: „Das Grüns ist das am stärksten frequentierte Restaurant“, berichtet Kammeier.
Kochen mit „geretteten“ Lebensmitteln
Nachhaltigkeit ist die große Themenklammer des fünfeinhalb Hektar großen Euref-Campus. Rund 30 Unternehmen allein aus dem Bereich der Energiewirtschaft arbeiten hier an innovativen, ökologisch nachhaltigen Produkten und Lösungen, ebenso haben hier zahlreiche Mobilitäts-Unternehmen (darunter die Deutsche Bahn und die Berlin Verkehrsbetriebe) Niederlassungen eröffnet. Die TU Berlin bietet hier verschiedene Master-Studiengänge mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Energie-Management an. Seit Jahren ist die Energieversorgung des Campus CO2-neutral, ein Biomethan verbrennendes Blockheizkraftwerk produziert Strom fürs Berliner Netz, die Abwärme genügt, um die Gebäude des Geländes – inklusive der Gastronomien – zu beheizen. „Emily“, ein putziger Elektrokleinbus, sucht sich seinen Weg über das Areal ganz ohne Fahrer.
Wie inspiriert so ein Umfeld die eigene Arbeit? „Wir kaufen, sofern es geht, regional ein. Darüber kann man am meisten steuern“, erklärt der gastronomische Leiter Kammeier. Die vorhandene Infrastruktur und das Know-how mache man sich zunutze, zum Beispiel in der Zusammenarbeit „SirPlus“, einem Food-Startup der besonderen Art: Das Unternehmen „rettet“ überschüssige Lebensmittel entlang der gesamten Wertschöpfungskette, bezogen werden sie von Groß- und Einzelhändlern sowie Bauern. Verkauft werden sie dann, zum günstigen Preis, in eigenen Supermärkten (aktuell drei in Berlin), online oder an die Gastronomie – auch an die entsprechenden
Betriebe auf dem Euref-Campus.
Immer mehr Eventkunden wollen „grünes“ Catering
Das zweite Standbein der Gastronomie auf dem Euref-Campus ist das Eventgeschäft. 15 unterschiedliche Eventlocations hat man zu bieten, vom bis zu 600 Personen Platz bietenden Kuppelzelt im historischen Gasometer über die „Werkstatt“ (250 Personen Konferenz, 150 Personen Dinner) bis zum intimen Ambiente im „Reglerhaus“ (30 Personen). Catering, Technik, Mobiliar – alles aus einer Hand, das 30 Personen umfassende Team aus Köchen, Servicekräften plus Sales-Mitarbeitern stockt man im Veranstaltungsgeschäft mit Leihkellnern über Agenturen auf. Man biete den Event-Kunden eine eigene Speisen-Linie mit nachhaltigen Produkten an, erklärt uns Kammeier. Womit man einem wachsenden Bedarf entgegen komme: Viele Anfragen beinhalten den Wunsch einem „grünen“ Food-Angebot – passend zum Standort-Thema.
Und es wird weiter gebaut auf dem Euref-Campus – unter anderem eine sechste Gastronomie. Was, wird noch nicht verraten. Es soll sich aber, hört man, um ein Fine-Dining-Konzept handeln. Ein weiterer Neubau wird einer eigenen Bäckerei Platz bieten. „Und den Gasometer planen wir ja irgendwann auch auszubauen – dort kommt ein Tagungszentrum hinein“, kündigt Thomas Kammeier an. „Ich bin somit schwer konzeptionell beschäftigt. Und das ist toll!“
Foto: André Schwarz/Euref AG