Nein, es zeichnen sich für das nächste Jahr nicht schon wieder neue Trends in der Food-&-Beverage-Branche ab, betont Hanni Rützler im Foodreport 2019. Gut zu wissen: Trendbewusste Gastronomen müssen also nicht gleich die Speisekarte umkrempeln, weil ein neuer Hype die Kochszene aufwirbelt. Doch, so Rützler, das heiße nicht, dass Ruhe und Stillstand einkehren werden!
Neben den Food-Trends, die sie identifiziert hat, legt sie in der diesjährigen Ausgabe des Reports den Fokus auf die französische Küche, denn die Trendexpertin meint, „die Zeit scheint reif für eine Renaissance“. Auch mit dem einst so wenig beliebten Kantinenessen beschäftigt sie sich näher: Früher kulinarische Drohgebärde, seien inzwischen Kantinen oft besser als ihr Ruf. „Die Gemeinschaftsgastronomie war lange Zeit das vernachlässigte Stiefkind der Branche. Nun hat sie einiges aufgeholt und schickt sich an, das ein oder andere Restaurant in Sachen Qualität, Kreativität, Design und Service zu überflügeln.“
Pflanzlich, gesund, genussvoll
Plant Based Food, Transparency, Healthy Hedonism - so heißen die Trends, die Hanni Rützler im Foodreport 2019 auflistet.
Plant Based Food. „Nicht nur Gemüse erlebt eine kulinarische Aufwertung, sondern Pflanzen finden als Ausgangsprodukte für neue Nahrungsmittel immer mehr Interesse“, so Rützler. Vor allem proteinreiche Bestandteile machen als Alternative zu tierischen Produkten Karriere. Entscheidend hierbei: Nicht mehr die Imitation von tierischen Produkten, sondern Gesundheit und Fitness werden in den Fokus gerückt. „Plant Based, das ist genau genommen auch ein Gericht im Restaurant oder am heimischen Esstisch, bei dem Gemüse und Getreideprodukte die Hauptrolle spielen und Fisch oder Fleisch höchstens die kleine, willkommene Beilage darstellen.“
Neben der kulinarischen Aufwertung von Gemüse, Kräutern, Hülsenfrüchten und Getreide, durch Erweiterung der Sortenvielfalt in den Supermarktregalen sowie wachsendes Knowhow im Hinblick auf sorgfältige, kreative, variantenreiche Zubereitungsarten überzeugen pflanzliche Rohstoffe (Soja, Nüsse, Hülsenfrüchte, Samen, Pseudogetreide wie Quinoa und Amaranth sowie Pilze) auch immer mehr als Ausgangsprodukte für gänzlich neue Lebensmittel. Rützlers Prognose: „Die Rolle von pflanzlichen Produkten wird auch künftig weiter wachsen. Das Konzept von Plant Based Food stellt die Vorteile einer solchen Ernährung in den Vordergrund – dies ist zugleich sein Erfolgsfaktor. Man muss nicht mehr auf Fleisch verzichten, sondern kann aus einer Vielzahl von ebenso wohlschmeckenden pflanzlichen Alternativen wählen.“ Vor allem das Sichtbarmachen der gesundheitsfördernden Bestandteile von pflanzlichen Lebensmitteln wirke sich positiv auf ihre Akzeptanz aus.
Transparency: Die Verbraucher haben nicht nur ein großes Sicherheitsbedürfnis, auch ethische Aspekte bei der Beurteilung von Lebensmitteln werden zunehmend wichtig. Die Herstellung der Lebensmittel müsse auch mit den Werten der Konsumenten kompatibel sein. Essbare Ethik. Das mache das Thema Transparenz noch bedeutsamer. „Das Interesse an sicheren Lebensmitteln und die Sorge um deren Herkunft hat sich zu einem Dauerthema in unserer Esskultur entwickelt“, konstatiert Rützler und verweist auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa aus dem Jahr 2014. Die habe gezeigt, dass ein Großteil der Deutschen trotz der wachsenden Zahl von Gütesiegeln auch im Hinblick auf Umwelt- und Tierschutzstandards nur ein geringes Vertrauen in die Lebensmittelindustrie hat. Neue Technologien können ihrer Meinung dabei helfen, das Vertrauen in die Lebensmittelindustrie zu stärken, indem sie die Herkunft von Produkten nachverfolgbar machen. Rützler führt als Beispiel in diesem Kontext die Blockchain an, um mit Technologie überregional und sogar global Nähe, Sicherheit und Vertrauen erzeugen zu können. Eine Blockchain ist eine Art transparente Datenbank, in die jede auch noch so kleine Transaktion, die in Beziehung zu einem Produkt steht, eingeht und für die Mitglieder des Netzwerks einsehbar ist. Rützlers Trendprognose: „Die Weichen für mehr Transparenz und ein damit in der Folge wieder wachsendes Vertrauen in die Lebensmittelindustrie sind gestellt: Technologien, um Herkunftsnachweise und Lieferketten lückenlos nachvollziehen zu können, stehen in den Startlöchern. Jedoch ob und wie schnell sich der „Transparency“-Trend
… durchsetzt, wird sich daran entscheiden, wie die Konsumenten ihre neue Macht beim täglichen Einkauf nutzen werden.“
Healthy Hedonism: Auch wenn unter den Konsumenten keine Einigkeit darüber herrsche, was genau unter „gesunder Ernährung“ verstanden wird, konstatiert Rützler einen Abschied von einem rein funktionalen Gesundheitsverständnis, das auf dem Gesetz des Verzichts basierte, und den Beginn einer neuen Ära des gesunden und sinnlichen Genießens: Lustvoll leben statt asketisch leiden. In Frankreich hätte – anders als in Deutschland - schon immer die Überzeugung geherrscht: Was nicht schmeckt, kann nicht gesund sein. „Auch in Deutschland nehmen immer mehr Menschen Abschied von einem allzu rationalen und asketischen Zugang zur Gesundheit, legen beim Essen mehr Gewicht auf die sensorische Qualitat und Frische der Ausgangsprodukte, auf Sorgfältigkeit und Raffinesse bei der Zubereitung sowie eine stressfreie Zeit zum Essen.“
Rützlers weitere Prognose zu diesem Trend: „Dass sich Gesundheit und Genuss nicht ausschließen, ist eine Entwicklung, die von Konsumenten begrüßt wird. Zu lange musste vor allem im deutschsprachigen Raum für die Gesundheit Verzicht geübt werden – der Trend ‚Healthy Hedonism‘ kommt einer kulinarischen Befreiung gleich. Nun liegt es an den Produzenten, Gastronomen und Händlern, Lebensmittel und Speisen nicht nur mit dem Etikett ‚gesund‘ zu versehen, sondern genussvolle Erlebnisse zu schaffen.“
Betriebskantinen: Ein thematischer Fokus Rützlers in dem Foodreport 2019 liegt neben den Foodtrends in diesem Jahr auf Betriebskantinen. Rützler: „Gesund genießen in der Kantine – was lange Zeit paradox klang, wird nun nach und nach Wirklichkeit. Die Gemeinschaftsgastronomie erlebt einen Aufschwung – vor allem, weil erkannt wird, dass in Zeiten der Kreativökonomie Austausch, Kommunikation und Interaktion wichtige Aspekte unserer täglichen Arbeit sind.“ Die Megatrends Individualisierung, Konnektivität, New Work und Gesundheit hätten auch in Kantinen, Mensen und sogar bei der Verpflegung in Schulen, Krankenhäusern und Seniorenheimen immer tiefere Spuren hinterlassen – und das im positiven Sinne. Und so wandeln sich Betriebskantinen „zu Genusstempeln und zu Orten, wo sich Menschen zum beruflichen Austausch, aber auch für kreative Pausen begegnen. Zugleich erfüllen sie immer mehr eine kuratierende Rolle hinsichtlich gesunder Ernährung als wichtigem Pfeiler des betrieblichen Gesundheitsmanagements.“ Die Betriebskantine sei inzwischen für viele Unternehmen das Aushängeschild ihrer Corporate Identity geworden, und damit das perfekte Schaufenster, um einen Einblick in die Unternehmenskultur zu bekommen: „Betriebliche Esskultur ist Ausdruck der Wertschätzung der Mitarbeiter.“ Unternehmen seien daher gefordert, ihre Betriebskantinen fit zu machen für das 21. Jahrhundert: „Kantinen sind Treffpunkte. Sie fördern den informellen Austausch der Mitarbeiter, können für interne Meetings oder Kundengespräche genutzt werden. Eine entsprechende Architektur unterstützt diese Funktionen mit einem offenen Sitzbereich, aber auch mit Rückzugsorten, die für vertrauliche Gespräche geschlossen werden können.“ Kurz: „Essen schafft Kommunikation schafft Produktivität“. Ausführliche Informationen dazu in Catering inside, 04/2018.
The New French: Die französische Küche ist gemeinhin als Grundlage jeder guten Kochausbildung anerkannt. „Jedoch wer sein Handwerk beherrscht, wendet sich nicht selten von ihr ab – gilt sie doch als schwer und wenig experimentierfreudig“, so Rützler. Und obwohl die Nouvelle Cuisine schon lange nicht mehr als neu angesehen werden kann, hätten viele Gastronomiekonzepte an ihr festgehalten. Und während anderswo auf der Welt neue Ideen und Konzepte entwickelt wurden, sei die französische Küche ins kulinarische Abseits gerutscht; „nicht, weil schlechter als anderswo gekocht wurde, sondern weil weniger als anderswo gedacht wurde. „Die Krise der großen französischen Küche ist auf ihre Veränderungsresistenz zurückzuführen.“ Doch die einst so starre französische Küche öffne sich – der Experimentierfreude der jungen, wilden Köche sei Dank. Durch die Symbiose und Mixtur mit anderen Koch- und Esskulturen erlebe sie eine Renaissance. „Vor allem Köche aus anderen Regionen der Welt wurden nicht mit widerspruchsloser Ehrfurcht und erstarrtem Respekt vor der Grande Cuisine ausgebildet – und bringen so mit ihrer frechen und geradlinigen Kochkunst frischen Wind in die Traditionsküche. Diese Mixtur verschiedener Küchen, die zahlreiche Chefköche alleine aufgrund ihrer Herkunft bereits mitbringen, sorgt für neue Geschmackserlebnisse. Traditionelle französische Klassiker werden globalisiert – sprich: mit Zutaten aus aller Welt, vor allem aus der asiatischen oder arabischen Küche, aufgepeppt – und erleben somit ein Comeback.“
Die Öffnung gegenüber internationalen kulinarischen Einflüssen habe die französische Küche vor der Erstarrung und Musealisierung bewahrt, erklärt Hanni Rützler. Im Gegenzug sei die Emanzipation von der französischen Dominanz auch die Voraussetzung dafür, dass man sich außerhalb Frankreichs wieder der reichen Küchentradition Frankreichs erinnere und nun – selbstbewusst – an sie anknüpfen könne. „Seit die Butter- und Fett-Hysterie wieder abgeklungen ist, mit der Paleo-Diät die gute alte Knochenbrühe wieder Furore macht, seit der Trend zu Pho-, Ramen- und Udon-Nudelsuppen-Lokalen der langsam gekochten Brühe wieder mehr Aufmerksamkeit schenkt, und Hobby- und Profiköche überrascht feststellen, dass Slow Food zwar eine Trademark, aber keine Erfindung von Carlo Petrini ist, sondern das uralte Prinzip der französischen Küche, seitdem blättern sie immer häufiger in den Rezeptsammlungen nicht nur der Haute Cuisine, sondern auch der Cuisine regionale. Denn mit der Foodie-Bewegung, der neuen Lust am avancierten Kochen, dem Zelebrieren des Schnippelns, Hackens und Rührens am heimischen Herd steigt – zumindest für bestimmte Lebensstile – auch wieder die Attraktivität der Schwierigkeit. Heute, wo jeder halbwegs versierte Hobbykoch locker ein wohlschmeckendes Risotto zaubern kann, sind die Herausforderungen, die französische Klassiker stellen, ein willkommener Anreiz, um sich des eigenen Talents zu versichern.“
Nicht zuletzt mache die schrittweise Annäherung der europäischen Lebensweisen das französische savoir-vivre (in der deutschen Bedeutung im Sinne von „Lebenskunst“, die immer auch mit der Kulinarik verbunden wird) auch in Deutschland immer attraktiver. „Während die Deutschen traditionell eher ‚ein langes, gesundes Leben‘ anstreben, fokussieren die Franzosen traditionell eher auf ein ;gutes, genussreiches Leben‘. Nun beobachten wir eine wechselseitige Inspiration: In Frankreich wächst ein neues Interesse an (als gesünder wahrgenommenen) Bio- Produkten, in Deutschland ein neues Interesse an eher gustatorisch definierter Qualität, die in Frankreich schon immer tonangebend ist“, führt Hanni Rützler aus.
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