Food-Start-ups haben meist wenig Kapital und Erfahrung, dafür viele kreative Ideen. Große Food-Unternehmen haben Know-how und Kapital, suchen jedoch Innovationen. Christin Siegemund bringt die Akteure zusammen.
Wäre Edelstahl Gold, dann wäre das Foodlab in der Hamburger Hafencity wohl das Eldorado: Überall blitzen und blinken die Flächen. Der Begriff „Großküche“ ist nicht hinreichend für dieses besondere Konzept – das Foodlab deckt von der Möglichkeit, Speisen zu produzieren, bis hin zu Büroarbeitsplätzen ein breites Angebotsspektrum ab. Auf den rund 1.200 m², die sich über zwei Etagen in einem modernen Hochhaus direkt am Wasser erstrecken, befinden sich fünf Küchen von der Entwicklungs- und Vorbereitungsküche bis zur Produktionsküche. Eine üppige Profiausstattung von der Back- und Eismaschine über Konvektomaten und Kipper bis zu diversen Auftisch-Induktionsherden steht den Mietern hier zur Verfügung, ebenso eine komplette Kühlung, Lager und sogar ein Raum für Foto- und Videoproduktion. Auch besteht die Möglichkeit, eigene Spezialgeräte für die individuelle Produktion mitzubringen. Während unseres Besuchs etwa stellt das Hamburger Start-up Tortilla Guy die typisch mexikanischen Fladen in der mitgebrachten Mahlmaschine her, die für eigene Taco-Produkte verwendet werden, aber auch an örtliche Restaurants gehen. Weitere Mieter sind zum Beispiel die Caterer Daily Greens und Balten & Balten, die hier Speisen für Event, Delivery und Co. vorbereiten sowie neue Rezepturen entwickeln können. Kleine Food-Unternehmen wie sie haben alle die gleiche Herausforderung: Regelmäßig, aber eventuell nicht täglich benötigen sie eine professionelle Küche für die Herstellung plus Raum für die Produktentwicklung. Eine Küche dauerhaft zu pachten und sich zudem die komplette Technik anzuschaffen, ist teuer. Zudem sind solche Flächen rar gesät, die Nachfrage übersteigt das Angebot.
Akteure finden einfacher zusammen
„Wir sind eine Begegnungsstätte für Start-ups, Foodies und die Lebensmittelbranche“, erklärt Foodlab-Geschäftsführerin Christin Siegemund. Sie will den verschiedenen Akteuren der Branche, vom Ein-Personen-Start-up bis zur Industrie die Möglichkeit bieten, sich zu vernetzen und zu produzieren. Die Gründerin hat zuvor Kommunikation und PR für Food-Start-ups gemacht und betreibt den bekannten Foodblog „Hamburger Deern“. Sie kennt sich also auch mit den Dingen aus, die um die eigentliche Food-Produktion herum noch anstehen, wenn man ein Produkt in den Markt bringen will. Jeder Gründer frage sich, worauf zu achten sei, von der Etikettierung über die Zertifikate bis zur Buchhaltung. Und natürlich, wie man überhaupt erfolgreich einen Vertrieb umsetzt. „Bei uns ist der Weg zur Startrampe deutlich schneller, weil die Leute einfacher zusammenfinden“, erklärt Siegemund. 2018 begann sie, das Konzept zu entwickeln, konnte ihre Hausbank und den Vermieter überzeugen, 2019 begannen die Bauarbeiten und im Juli 2020 wurde eröffnet.
Auch große Unternehmen dürfen hier mitmischen und tun dies bereits. So zum Beispiel der Feinkosthersteller Popp aus Kaltenkirchen. Der nämlich bespielte im Oktober das Pop-up-Restaurant des Foodlab zusammen mit der Hamburger The Gone Away Bar: Popp nutzte den Ort, um sein Neuprodukt, Pommes frites für zu Hause (Lagerung im Kühlschrank, nicht in der Tiefkühlung) ,zu testen – und Barbetreiber Max Schulte-Hillen mixte dazu nicht nur Drinks, sondern auch individuelle Toppings für üppige „loaded fries“. Das Pop-up-Restaurant (60 Plätze) mit seinem monatlich wechselnden Angebot/Konzept (wenn nicht gerade Corona-Lockdown ist) ist öffentlicher Bereich des Foodlab, zusammen mit dem von Hanseatic Coffee betriebenen Café obendrüber. Gäste von außen können hier essen und trinken – und die Unternehmen machen nicht nur Umsatz, sondern können vor allem in vivo testen, wie gut ihre Produkte ankommen. Die Gäste im Restaurant bekommen Fragebögen ausgehändigt und können so direkt ihr Feedback abgeben – Marktforschung am Tisch.
Die Verbindung zwischen kleinen und großen Unternehmen, die das Foodlab herstellt, geht aber noch tiefer. Es gibt sogar, man kennt es zum Beispiel aus der IT-Welt, ein Accelerator-Programm, an dem sich Start-ups und große Unternehmen beteiligen können. Zweimal pro Jahr können bis zu sechs Food-Gründungen am Programm teilnehmen. Sie bekommen einen kostenlosen Arbeitsplatz im Co-Working-Bereich und erhalten zudem Seminare und Coachings, individuelle Pilotprojekte, Präsentationstrainings und am Ende ein Zertifikat. Die Unternehmen wiederum zahlen für ihre Teilnahme und bekommen im Gegenzug Einblicke, Inspiration und die Möglichkeit, gemeinsam mit den Start-ups neue Ideen, Konzepte und Produkte zu entwickeln bzw. diese mit der Ideenfindung zu beauftragen.
Win-Win-Situation für alle Unternehmen
Dabei sind freilich Spielregeln einzuhalten: Kooperieren ja, kopieren nein. Wertschätzung und Respekt sind zentrale Werte. „Unternehmen, die hier dazukommen, suchen aber sowieso nach einem Produkt oder vielmehr einer Lösung, die es so noch gar nicht gibt. Sie wollen von der Agilität und der anderen Denke der Start-ups profitieren und lernen“, so Christin Siegemund. Die Kleinen wiederum können von den Großen vieles in Sachen Skalierung und Vermarktung lernen – und auch, Fehler zu vermeiden, die andere schon gemacht haben.
Ziel 2021: KinderSpeisekarten modernisieren
Gibt es im Foodlab auch für den Bereich Gemeinschaftsverpflegung Ansatzpunkte? „Ich würde mich sehr freuen, wenn auch Caterer, die zum Beispiel für Krankenhäuser oder Kitas arbeiten, dazukommen“, erklärt Christin Siegemund. Erste Anfragen dafür liegen bereits vor. Und im Herbst 2021 wird das Foodlab auf seiner Pop-up-Fläche ein temporäres „Kinderkarten-Restaurant“ eröffnen. Mit frischen, regional-saisonalen Speisen will man dann zeigen, wie sich dieser – oft vernachlässigte Teil der Speisekarte in Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung – modernisieren und sich gutes, gesundes Essen auch den Kleinen schmackhaft machen. lässt Vielleicht wird diese Karte sogar gemeinsam mit Kids entwickelt. Wenn die Situation, die zurzeit wenig Planungssicherheit gewährt, es dann zulässt.
"Bei uns ist der Weg zur Startrampe deutlich schneller.“
Christin Siegemund, Geschäftsführerin Foodlab Hamburg
Fotos: Foodlab