Seit knapp einem Jahr gibt es das Projekt „Kantine Zukunft“ in Berlin. Nach dänischem Vorbild begleitet es ausgewählte Betriebe der Gemeinschaftsverpflegung dabei, den Bio-Anteil zu erhöhen und noch frischere, gesündere und leckerere Speisen zu produzieren.
Wer längere Zeit in einem Unternehmen tätig ist, Branche nebensächlich, der weiß: Irgendwann stellt sich Routine ein, um nicht zu sagen ein Trott. Der frische und kompetente Blick von außen kann sehr helfen, um Verbesserungs- und Weiterentwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen, und eine Begleitung in Form eines Mentorings hilft, diese dann auch umzusetzen. Im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung setzt genau hier das Berliner Projekt „Kantine Zukunft“ an: Ein interdisziplinäres Team aus Köchen, Ernährungswissenschaftlern, Designern und Experten anderer Fachbereiche steht ausgewählten Betrieben der lokalen Gemeinschaftsverpflegung – von städtischen Betriebskantinen bis zur Kita-Küche – als Expertenteam zur Verfügung. Nicht mit dem Klemmbrett am Spielfeldrand, sondern „hands on“ und im laufenden Betrieb, auch in der Ausgabe, mitarbeitend. Das Ziel: mehr Bio-Anteil (60 Prozent im Gesamtwareneinsatz), mehr Nachhaltigkeit. Aber auch mehr Genuss für die Gäste und mehr Wertschätzung für die Arbeit.
Vorbild Kopenhagen
Die kommunale Ernährung zu fördern und zu verbessern, war 2016 von der rot-rot-grünen Regierung der Hauptstadt in den Koalitionsvertrag mit aufgenommen worden; später wurden seitens des Senats 3,2 Millionen Euro bis zum Jahr 2021 für den Aufbau eines Ernährungszentrums eingeplant (s. Cooking + Catering inside 5/2019). Ein „House of Food“ nach Kopenhagener Vorbild sollte in Berlin entstehen. Dort hat man es seit 2007 geschafft, den Bio-Anteil in den kommunalen Verpflegungseinrichtungen im Gesamtwareneinsatz gar auf 90 Prozent hochzuschrauben. Den Zuschlag für das ehrgeizige Projekt erhielt das Forschungs- und Beratungsunternehmen „Speiseräume“, hervorgegangen aus dem gleichnamigen Blog des Raumplaners Dr. Philipp Stierand, der sich schon seit vielen Jahren mit kommunaler Ernährungspolitik und Stadternährungsplanung beschäftigt. Im Herbst 2019 nahm Kantine Zukunft die Arbeit auf.
Elf Küchen arbeiten derzeit im Projekt mit. Basis der Kooperation sind eine Zielvereinbarung (mit genanntem Bio-Ziel) und eine Erstaufnahme des Bestands vor Ort mit Check der Kennzahlen, der vorhandenen Technik, der Einsparpozentiale (Wasserverbrauch, Energie und Co.) und auch der bereits vorhandenen Ansätze für mehr Nachhaltigkeit. Im Anschluss werden die individuellen Handlungsfelder ermittelt. Die Kommunikation im Betrieb – die Kostnehmer sollen mitbekommen und verstehen, was gerade passiert – ist ebenso ein Baustein wie Testphasen mit verändertem Angebot, Zwischenstandsanalysen, Anpassungen und weiteren Veränderungen sowie einer abschließenden Evaluation. Trainings, Schulungen und Seminare finden begleitend statt, eine E-
Learning-Plattform wird demnächst zusätzlichen Input für die Betriebe und ihre Mitarbeitenden liefern. In Corona-Zeiten, wo viele Face-to-
Face-Kontakte, besonders in größeren Gruppen, ausfallen müssen, ist digitale Schulung umso wichtiger. Auch das Format „Kantinentreff“ für den Austausch der Akteure der Betriebe untereinander fand bislang nur online statt, bald soll es auch analog und live möglich sein.
Nachhaltigkeit für besseren Geschmack
So strukturiert der Aufbau – hier hat man sich manches aus Kopenhagen abschauen können –, so genussvoll soll das Ergebnis für diejenigen sein, die tagtäglich, in normalen Zeiten jedenfalls, in den Kantinen zu Gast und zu Tisch sind. Das gilt für die Mitarbeitenden der Berliner Wasserbetriebe in der Betriebskantine „Spreeschleuse“ ebenso wie die kleinen Kostnehmer der teilnehmenden Kita. „Nachhaltigkeit sollte immer etwas sein, das zu besserem Geschmack beiträgt“, sagt Patrick Wodni, Koch und stellvertretender Projektleiter von Kantine Zukunft, der zuvor u. a. eine Krankenhauskantine umgekrempelt hat (mehr über ihn im Interview in Ausgabe 6/2019). Bestmögliches Essen, mit frischen Produkten statt mit fertiger Convenience-
Ware zubereitet, gesund und lecker, ist der Ansatz – es wird von den Gästen her gedacht. Zubereitet mit möglichst viel Bio-Produkten, um auch eine regenerative Landwirtschaft zu fördern. Aus der bestehenden Lieferantenliste werden Produkte und Produktgruppen konventioneller Produktion gegen solche in Bio-Qualität ausgetauscht, zudem steht Kantine Zukunft ein großes Netzwerk regional, saisonal und biologisch arbeitender Erzeugerbetriebe mit Schwerpunkt Berliner Umland zur Verfügung.
Mehr Nachhaltigkeit ohne Mehrkosten
Die große Herausforderung dabei ist die versprochene Kostenneutralität: Am Ende sollen sich die Ausgaben der Betriebe durch die Umstellung nicht erhöhen – das ist hinsichtlich höherer Preise für Bio-Produkte (die sich, wie fast alle Lebensmittel, durch Corona noch einmal verteuert haben) eine echte Herausforderung. Ein Instrument ist die Rück-Integration: Statt Ware mit höherem Verarbeitungsgrad (fertig geschnitten, portioniert etc.) zu beziehen, wird wieder mehr selbst Hand angelegt. In Kopenhagen habe man immer zwei Finger zu sehen bekommen, die sich wie eine Schere aufeinander zubewegten: Damit wurde verdeutlicht, dass anfangs auch dort vor allem Tüten aufgeschnitten wurden, berichtet Patrick Wodni vom Inspirationsbesuch in der dänischen Hauptstadt. Jetzt ist das anders: „Wir haben dort große Kantinenküchen gesehen, in denen sogar Schalotten geschnippelt wurden.“ Wodni hat nicht nur in der Gemeinschaftsverpflegung gearbeitet, sondern unter anderem auch im Berliner Sternerestaurant Nobelhart & Schmutzig, das für seine „brutal lokale“ Küche und die Verwendung möglichst naturbelassener, nachhaltig erzeugter Lebensmittel bekannt geworden ist. Gute Grundprodukte auch in der Gemeinschaftsverpflegung zu verwenden, das sei vom Fine Dining eigentlich nicht besonders weit entfernt, findet er.
Diese Art des Arbeitens mit „echten“ Produkten unterstreiche und fördere auch die Handwerklichkeit des Berufs Koch, was speziell im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung oft viel zu kurz komme – Kantine Zukunft gehe es auch um die soziale Nachhaltigkeit, erklärt Dinah Hoffmann, die das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin begleitet. „Wir wollen, dass die Mitarbeiter mehr Wertschätzung für das, was sie tun, erhalten.“ Nicht nur innerhalb der Betriebe, sondern in Form einer bereits geplanten Imagekampagne in der ganzen Stadt: Plakate sollen die Akteure in den Küchen der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar machen – die Menschen also, die viele andere Menschen Tag für Tag in Berlin ernähren.
Wertschätzung fördern
Natürlich hat Corona auch der Kantine Zukunft einen dicken Strich durch die Rechnung bzw. Planung gemacht. Wochenlang waren die Projektbetriebe geschlossen, die meisten sind noch nicht zum Normalbetrieb zurückgekehrt. Besuche der Trainer vor Ort waren lange Zeit nicht möglich, in den Küchen der teilnehmenden Seniorenheime sind sie es noch immer nicht. „Wir mussten uns natürlich anpassen und einiges umstrukturieren, aber wir haben die Zeit gut genutzt“, so Dinah Hoffmann. So wurden neue Mitarbeiter „ongeboardet“ und das Handbuch, das als Leitfaden für den Betreuungsprozess dient, fertiggestellt: „Corona hat gezeigt, wie wichtig gesunde Ernährung für eine resiliente Gesellschaft ist. Gesundes Essen ist ein Element der Prävention – Millionen von Essen, die täglich in der Gemeinschaftsverpflegung produziert werden, sind ein Hebel, mit dem man sich beschäftigen sollte.“ Und das wollen offensichtlich immer mehr Betriebe: Viele weitere haben sich zwischenzeitlich für eine Teilnahme an Kantine Zukunft beworben. Und auch in anderen Städten – Hamburg, Köln, Bremen – sind Projekte ähnlicher Ausrichtung in Planung.
Foto: Kantine Zukunft